Die Schatzsuche
Hörtrainings Geschichte | Dauer: 05:14
Die Schatzsuche
Für David sind die Audioprozessoren seiner Cochlea Implantat-Systeme sehr wertvoll. Der Siebenjährige ist nämlich beidseits taub und erst durch seine Hörsysteme kann er nahezu normal hören. Dadurch kann David ein ganz normales Leben führen: reden, spielen, lachen, singen. Nur zum Schlafen und beim Duschen nimmt er seine CIs ab, sonst sind sie immer mit dabei. Außer das eine Mal, als David einen seiner Audioprozessoren im Klo hinunterspülte.
In einem Moment waren beide noch da, im nächsten plötzlich eines nicht mehr. David lief sofort zu seinen Eltern und erzählte von dem fehlenden Stück. Die versuchten erst Ruhe zu bewahren. Zumindest ging es nur um ein Gerät, auf der anderen Seite konnte David ja immer noch hören. Die ganze Familie - David, seine Schwester und seine Eltern - durchsuchten jeden Winkel im ganzen Haus. Besonders in Toilette und Kinderzimmer wurde alles abgegriffen, jedes Spielzeug hochgehoben, jedes Buch umgedreht, jede Decke ausgeschüttelt. Abwechselnd redeten die Eltern dem Nachwuchs ins Gewissen, ob das Gerät nicht doch verlegt, verloren oder versteckt sein könnte. Schließlich mussten sie der Tatsache ins Auge blicken: Der Audioprozessor ist weg.
David ist nicht der einzige, dem das schon einmal passiert ist. Immer wieder verlieren CI-Trägerinnen und Träger das Gerät, von dem man glauben möchte, ein Verlust wäre undenkbar. Doch dann bleibt die Magnetspule im Bus an einer Stange hängen, der Prozessor wird aus dem Garderobekästchen im Fitnessstudio gestohlen, beim Herumalbern im Schulhof heruntergeschleudert oder bei der Gartenarbeit unabsichtlich abgestreift. Etwa alle vier bis acht Wochen wird in Österreich ein CI-Prozessor verloren, die Zahl bei konventionellen Hörgeräten dürfte deutlich höher sein. Vorwiegend Jugendliche und Erwachsene sind betroffen - vielleicht, weil Kinder häufiger zur zusätzlichen Befestigung Stirnbänder, sogenannte Huckis oder Spangen nutzen.
Für David bedeutete das verlorene CI, dass er nur noch auf einer Seite hören konnte. Dadurch konnte er zwar verstehen und sich verständigen, doch Zuhören ist anstrengender und Richtungshören nicht möglich. Rasche Abhilfe war also gefragt. Deshalb riefen seine Eltern den Schwager, einen gelernten Installateur, zu Hilfe. Mit dessen Kanalkamera suchten sie gemeinsam den Hauskanal ab, überprüften, ob der Audioprozessor im Abfluss der Toilette hängen- oder steckengeblieben war. Erfolglos. Also beschlossen sie, den nächsten Schritt zu gehen. Das bedeutete: der Hauptsammelkanal musste abgesucht werden.
David hat Glück: Sein Papa ist nämlich Feuerwehkommandant. Kurzerhand wurde also aus der Suche nach dem Audioprozessor ein kleiner Feuerwehreinsatz. Davids Papa und sein Cousin stiegen den Kanal hinunter, gar keine einfache Aufgabe. Zwar wohnt die Familie in einem kleinen Dorf, doch im Sammelkanal rinnen alle Abwässer der umliegenden Gemeinden zusammen. Ständig kam also ein neuer Schwall daher. Die beiden Feuerwehrmänner pumpten die Abwässer in ein Güllefass, das einer der örtlichen Bauern bereitstellte, und suchten dann im Schlamm des Kanals nach dem vermissten Gerät. Insgesamt vier Stunden verbrachten sie im Kanal, ausgestattet mit Taschenlampen und Atemschutzmasken, doch wieder ohne Erfolg. Also beschlossen sie aufzugeben.
Davids Eltern wussten, dass sie sich so schnell wie möglich um einen neuen Audioprozessor kümmern mussten. Selbst wenn David einseitig immer noch hören konnte, so war ihnen doch klar, dass das Hörerlebnis nicht dasselbe war. Die Angst, er könnte etwas versäumen, sich unwohl fühlen, begleitete die Familie in den wenigen Tagen, in denen sie auf das neue Gerät wartete. Schließlich war die Entscheidung für die Implantation deshalb gefallen, weil David ein Leben ohne Einschränkungen führen sollte. Dass nun ein kleines Stück Lebensqualität irgendwo in den Tiefen des örtlichen Kanals lag, bereitete ihnen Sorgen.
Doch nur wenige Tage später, der neue Audioprozessor war schon bereit zur Abholung, kam David plötzlich mit einem breiten Grinsen die Treppe vom Kinderzimmer hinunter gestürmt. Er hielt seine Hände vor sich verschlossen, als würde er einen Schatz verstecken. Da wussten Davids Eltern, was ihnen blühte: der verlorene Audioprozessor war wieder da! Aber wo hatte David ihn gefunden? „Am Kasterl“, sagte er. Am Kasterl, von dem die ganze Familie bis heute schwört, es bis auf den letzten Millimeter genau abgesucht zu haben. Wie David ihn also da hatte finden können, kann sich niemand so recht erklären. Aber David kann nun wieder auf beiden Seiten hören und die lokale Feuerwehr, die wird diesen Einsatz wohl auch nicht mehr so schnell vergessen.